Es ist kein großes Geheimnis, dass ich beim Thema Zirkus „Magenschmerzen“ bekomme, denn die Tierhaltung, ganz besonders die der Wildtiere, ist in jedem Zirkus meilenweit von artgerechtem Leben entfernt (und das umschreibe ich noch sehr zurückhaltend). Heute stellt sich Roncalli anders dar, doch noch vor einigen Jahren, hatte dieser Wanderzirkus auch Wildtiere in seinem Gefolge. Gefolge ist vielleicht der falsche Ausdruck, denn die Löwen, Bären und Leoparden folgen ja schließlich nicht freiwillig. Wir zwingen diese wundervollen Kreaturen in unsere Welt und stülpen ihnen sogar noch unser Gefühls-Universum über. In unserer Entwicklungsgeschichte haben wir Menschen uns so auf die eigene Spezies fixiert, dass wir diese Sichtweise fast „automatisch“ auch auf andere Lebewesen übertragen. Wäre gar nicht so schlimm, wenn wir dabei nicht den realen Blick auf sie verloren hätten. Ein Beispiel aus dem Zirkus Roncalli verdeutlicht, welche Gedankengänge bei uns durch den Kopf schießen und die sind bei uns allen nahezu gleich oder zumindest ähnlich. Machen wir dazu am besten mal ein Selbstexperiment und beobachten nach den gelesenen Ereignissen genau unsere Gedanken. …aber ganz ehrlich
Zirkus Roncalli
Am 29. Juni 1982 gastierte dieser Zirkus in Hamburg, damals noch mit Raubtieren, was sich nach diesen folgeschweren Ereignissen erledigt hatte. Der Dompteur Rene Strickler (er nannte sich lieber Tierlehrer) hatte auch wieder- wie fast jeden Tag- eine „spektakuläre“ Wild-Tier-Nummer zu präsentieren und die war nicht ganz ungefährlich. Er „arbeitete“ mit Löwen, Bären, Leoparden und Bernhardinerhunden. Diese Hunde sind in der Regel sehr „geduldig“ und „friedfertig“, doch fühlen sie sich bedroht, stürzen sie sich auch ohne jegliche Scheu auf Löwen oder Leoparden. Zu all dem, herrscht zwischen Löwen und Leoparden in der Manege eine gewisse „Feind- Seligkeit“. Was wirklich dahinter steckt, wissen wir nicht. Vielleicht wegen der Lebensumstände, denn in ihrem natürlichen Lebensraum gehen sie sich ganz einfach aus dem Weg. Diese explosive Mischung wurde von dem „Tierlehrer“ Rene Strickler „vorgeführt“ und alles lief wie immer, ohne größere Probleme
-bis zum Abschlusssprung eines Leoparden über einen der Bernhardinerhunde.
Rene Strickler mit einem „seiner“ Leoparden
Beim Sprung fahren Katzen ihre Krallen aus, um beim Aufsetzen Halt zu finden, doch noch im Flug, streifte der Leopard mit seinen Krallen einen der Bernhardinerhunde und es kam wie es kommen musste, er fühlte sich angegriffen und bedroht. Ohne zu zögern, stürzte sich dieser Hund auf den Leoparden, was alle Andern im Ring zu ungeahnten Aggressionen animierte. Im Handumdrehen verwandelte sich die Manege in eine Kampf- Arena, in der es um Leben und Tod ging. Die ausgebrochenen Kämpfe waren nicht mehr zu stoppen und Rene Strickler stand mittendrin.
Der „Tierlehrer“ hatte zu einer seiner ältesten Löwinnen „Pat“ eine ganz besondere Verbindung und die Zeitungen schrieben am nächsten Tag: „Löwin rettet Dompteur das Leben“. Was war passiert? In all dem tödlichen Durcheinander, bei dem übrigens Viele nicht überlebten, stellte sich die Löwin vor den Dompteur und verteidigt ihn unter Einsatz ihres Lebens gegen zahlreiche Angriffe. Ohne diese Löwin hätte Rene Strickler in dieser Kampf Arena nicht überlebt.
An was habt ihr als erstes gedacht?
In der Regel: „der Löwe hat seinen „Freund“ beschützt“ oder etwas Ähnliches.
Schlimm genug, dass wir dem Tod zahlreicher Tiere keine große Bedeutung schenken, nur an den Dompteur denken und die Löwin fast „automatisch“ in einem ganz anderem, unserem „Licht“ sehen. Der „edle“ und „tapfere“ Löwe schützt seinen Dompteur. Dies ist nicht nur falsch, sondern schreit geradezu vor Dummheit, dass man Ohrenschützer braucht. Dies sind genau jene spektakulären Schlagzeilen, die unser Nicht- Wissen mit Paukenschlag unterstreichen. Nix mit Edelmut oder selbstloser „Heldin“. Die Zwei hatten anscheinend eine derartige Verbindung, dass die Löwin ihren Dompteur mit in ihr Rudel aufgenommen hatte und das gilt es- immer zu verteidigen. Was übrigens fast alle hochentwickelten Lebewesen tun. Als Paradebeispiel fallen mir spontan Wölfe ein, die in ihrem Rudel außergewöhnlich fürsorglich agieren, aber in der Verteidigung ihres Lebensraumes und ihres Clans absolut kompromisslos und sehr aggressiv zu Werke gehen. Sie schützen dabei nur ihre „Familie“ und ihr Überleben. An dieser Stelle möchte ich nicht Löwen mit Wölfen vergleichen, aber Wölfe haben ein deutlich ausgeprägteres Sozialverhalten als ihre „Wild- Kollegen“ – und das sage ich als Schafzüchter.
Aber wieder zurück zur Löwin „Pat“. Was sie tatsächlich dazu bewogen hat, unter Einsatz ihres Lebens, Rene Strickler zu verteidigen, wissen wir nicht und werden es auch nie mit Sicherheit ergründen, aber …
Denn es gibt ein „Aber“, wenn da nicht noch ein meist gescheutes Thema existieren würde: „Freundschaften“! Ganz besonders auffällig ist dabei das Interesse für Babys, auch die der anderen und dies sogar artübergreifend. Der niederländische Verhaltensbiologe Frans de Waal sieht dies nicht als eine Laune der Natur, sondern behauptet als Professor für Psychologie in Atlante, dass Tiere eine moralische Instanz besitzen – sehr umstritten. Im Gegenzug behaupten Verhaltens- und Primatenforscher, dies sei instinktive Anteilnahme. Welche „Mechanismen“ hier in Gang kommen, kann der Mensch nur vermuten und das bedeutet mal wieder, wir haben keine Ahnung.
Ganz nüchtern betrachtet, sind diese Rasse übergreifenden „Adoptionen“ eine Fehlprägung und doch eine Laune der Natur (hört sich nach Fachchinesisch an, trifft es aber ziemlich gut). Dass dieses Verhalten tatsächlich untypisch ist, zeigt uns das Bild vor Augen, wenn diese „Adoptionen“ Standard wären. ( z. B. Hunde kümmern sich um Lämmer, Pferde versorgen Kälber u.s.w.) Diese Rasse würde aussterben und die Evolution käme vermutlich zu dem Schluss: „nicht brauchbar“. Dennoch gibt es sie, die „Tierfreundschaften“, oder sagen wir, die besonderen Verbindungen. Ob nun der Dompteur in die Herde der Löwin aufgenommen wurde oder „irgend“ eine andere Verbindung zwischen diesen beiden bestanden hat, niemand kann es sagen, in jedem Fall hat sie ihm das Leben gerettet.
Um uns diese „Mechanismen“, unter der Rubrik „WOW“ noch besser zu verdeutlichen, schauen wir einmal auf die Forschungen von Konrad Lorenz, die Erstaunliches über Gänse zum Vorschein gebracht haben, genauer gesagt von Graugänsen. Dieses schlaue Federvieh hat so einige Tricks auf Lager, doch wo kommen sie her und warum tun sie das?
Graugänse, sensibles Federvieh, mit erstaunlichen Fähigkeiten
Wo sie herkommen, ist gar nicht so schwer, denn die Evolution hat großen Erfindungsgeist. Doch warum unsere Tiere einige Dinge gerade zu diesem Zeitpunkt tun, ist schon etwas anspruchsvoller. Aber die Frage: „steckt da ein bewusstes handeln dahinter?“, fordert uns geradezu heraus. Das „Innenleben“ der Tiere ist für uns nach wie vor eine unbekannte Welt und sie verfügen über Fähigkeiten, die wir vielleicht sogar erahnen, aber irgendwie nicht wahr haben wollen. Doch es gibt auch Verhaltensweisen, die ganz und gar nicht aus ihrem Sozialverhalten stammen, sondern von der genialen Natur eingerichtet wurden und manchmal so erstaunlich sind, dass man sie kaum glauben mag.
Wie schon Konrad Lorenz herausgefunden hat, kann man Gänse nicht gerade als dumm bezeichnen, im Gegenteil- sie sind sensibel und lernfähig. Bei der Brut zum Beispiel, kümmern sie sich auch sehr aufopferungsvoll um ihren Nachwuchs, schützen und verteidigen ihn. Die Graugänse bauen ihre Nester ebenerdig oder auf kleinen Hügeln und können ihre Umgebung bestens beobachten, denn ihr Sehvermögen ist sehr gut. Als Beobachter sollte man also erwarten, falls mal ein Ei aus dem Nest rollt, dass sie es sofort erkennen und wieder in das schützende Nest zurückholen – es beschützen. Genauso war auch der Versuchsaufbau von Herrn Lorenz, selbstverständlich in ihrer natürlichen Umgebung und alles ohne irgendwelchen „Versuchs- Stress“. Die konkrete Frage war: „tun die Graugänse dies aus bewusstem Sozialverhalten heraus und wenn nicht, warum dann“? Das war der Plan. Mit ziemlich viel Aufwand, richteten sie einen Beobachtungsposten an einem natürlichen Brutplatz ein und brachten viel Zeit mit, sehr viel Zeit. Als es dann doch mal passierte, dass ein Ei aus dem Nest rollte, reagierte die Gans sofort. Sie machte einen langen Hals, begutachtete das rollende „Objekt“ und brachte es unter recht großen Anstrengungen und einer erstaunlichen Fertigkeit wieder zurück in das schützende, warme Nest. Alles war wieder GUT. Lorenz rollte einen Tennisball an das Nest und zur allgemeinen Verwunderung, lief ganz genau dasselbe ab, wie mit dem richtigen Ei. Ok, dachten sie, eine Verwechslung, kann schon mal passieren. Nachdem sie das Experiment immer mit demselben Ergebnis wiederholten, rollten sie eine kleine Plastik Trinkflasche an ihr Nest. Das war nun die eigentliche Überraschung, denn auch hier zeigte die „fürsorgliche“ Gans dasselbe Verhalten. Sie rollte die Trinkflasche mit größter Sorgfalt in Ihr Nest. Das hatten sie nun wirklich nicht erwartet. Die Ergebnisse dieser Forschungen brachten folgendes ans „Tageslicht“: Zu den vielen „Talenten“ und Fähigkeiten der Graugänse, gesellt sich 2 Wochen vor und 2-3 Wochen nach der Brutzeit ein erstaunlicher „Reflex“, alle rundlichen Gegenstände am Nest- „wieder zurück“ zu bringen. Außerhalb der Brutzeit existiert dieses Verhalten nicht. Könnte bei dem Löwen ein ähnlicher Mechanismus in Gang gesetzt worden sein? Nur hier- „beschütze dein Rudel“?
Ich würde sagen:
zu bewundern ist in jedem Fall die Natur und ihre Zwillingsschwester Evolution.