Eigentlich waren wir dieses Jahr spät dran, aber beim ersten Versuch hat der Himmel unverhofft alle Schleusen geöffnet und meine Mädels ordentlich eingeweicht. Ich möchte einmal das Gesicht des „Frisörs“ sehen, wenn er über 100 klatschnasse Damen scheren soll. Nun ging es aber endlich los und der Wettergott hatte glücklicherweise ein Einsehen mit uns.
Der Frisör und ich waren um 7.30 Uhr verabredet. Neugierige hatten sich auch angesagt, denn schottische Damen nackt zu machen ist ein Ereignis. Manche behaupten ja, Blackis haben immer einen Plan. Das vermute ich schon lange, aber bei dem Thema „Wolle ab“ sind wir einer Meinung – meine Damen und ich.
Rainer, der Schaffrisör, war super pünktlich. Um 07.30 Uhr fuhr er auf den Hof. Gut gelaunt und voller Tatendrang begrüßte er mich und machte gleich seinen ersten Scherz: „Du, eigentlich habe ich gar keine Lust.“
Da ich aber Rainer kenne, weiß ich, er macht seinen Job mehr als nur gerne – er liebt ihn geradezu. In der Halle war alles vorbereitet. Strom für die Schermaschine, Scheinwerfer positioniert, Gatter aufgestellt und die angemeldeten Zaungäste wollten für Kaffee und Brötchen sorgen. Das Treffen von netten Menschen und vielen schottischen Damen war arrangiert. Naja, viele Damen ist relativ, denn ich habe ja noch immer eine Hobbyzucht, auch wenn ich die 100er Marke längst überschritten habe – und dabei meine ich nicht mein Alter.
Rainer schaute sich die vorbereitete Arbeitsstelle an: „Sehr schön, aber hatte ich schon erwähnt, dass ich gar keine Lust habe?“ „Ist ja gut, Rainer, du musst nicht verheimlichen, dass du deinen Job sehr gerne machst“, war meine Antwort.
Maschine aufbauen und dann geht es den Damen an die „Wäsche“,
Foto Hardi P. Schaarschmidt
Nur noch Messer aufstecken und schon konnte die Aktion „nackte Damen“ beginnen. Gleich bei der ersten Lady hatte Rainer ein Problem. Die Unterwolle löste sich schlecht, so dass der Tag mit richtiger Arbeit begann. Eigentlich hatte ich sechs Stunden mit Pause eingeplant, aber das stand nun auf der Kippe. Doch es lief besser als vermutet. „Der gleiche Herr – die nächste Dame“, nach diesem Motto lief es zügig bis zur ersten Pause.
Die Chefin beobachtete Rainer ganz genau. Wer ist der Fremde? Was hat er vor?
Foto Hardi P.Schaarschmidt
Pünktlich zur Pause trafen unsere Zaungäste Karin, Tessa und Wilhelm F. ein. Bewaffnet mit Kaffee, Brötchen und guter Laune. Es waren sehr nette, kreative „Schreibtisch-Täter“, die zum ersten Mal in ihrem Leben eine Schafschur live erleben wollten. Wir hatten alle viel Spaß, aber die Schäferromantik hatte ihren Platz mit Arbeit getauscht. Unsere Besucher machten reichlich Fotos und überraschten uns mit liebevoll belegten Brötchen. Zu unserer Verwunderung stand dann plötzlich auch noch ein ganzer Pulk von Menschen vor uns.
„Wow, wo kommt Ihr den aller her?“ „Guten Morgen, wir machen gerade eine Klosterführung und haben gehört, dass hier eine Schafschur stattfindet.“ „Ok, herzlich willkommen.“ Dann prasselten tausend Fragen auf mich ein. Rainer trank in Ruhe seinen Kaffee, unsere Besucher posierten zwischen den Schafen und ich stand Rede und Antwort. Viele schlaue Fragen, aber auch einige, über die man sich schon mal wundern darf. „Was machen Sie, wenn jetzt plötzlich Wölfe kommen?“
„Ich hole meine Schrotflinte und erschieße alles, was sich meinen Schafen nähert.“ Wenn ich eine Flinte hätte. Eine schlaue Antwort auf eine schlaue Frage.
Nach diesen tiefsinnigen Weisheiten des Lebens war unsere Pause auch schon wieder vorbei und es wartete noch einen Menge Arbeit auf uns. Eine Dame nach der anderen ließ ihre Wolle und, oh Wunder oh Wunder, wir hatten mehr Platz im Stall. Angezogene Frauen nehmen doch schon eine ganze Menge Platz weg. Als ich nebenbei davon erzählte, dass ich nach der Schafschur viel mehr „ausgezogene“ Damen in den Anhänger bekomme, überraschte unsere Besucherin mit der Frage:
„Gilt das auch fürs Bett“?
Rainers Kommentar: „Die Frau überrascht mich positiv.“ und ich bekam einen Lachanfall.
Und wieder ging es zügig voran. Ich reichte die Schafe an, Rainer „zog sie aus“ und unsere Besucher hatten offensichtlich viel Spaß. Ganz besonders erstaunlich war die Wandlung ihrer Tochter Tessa. Als sie bei uns eintraf, hatte sie eine Riesenangst und traute sich nicht an meine Mädels heran. Nach einem Vormittag – das Foto spricht für sich selbst
Tessa und Rosemarie, Foto privat
Das war sie also wieder, die Schafschur für dieses Jahr. 100 nackte Damen, ein witziger Schafscherer und die kleine Tessa, die ihre Liebe zu Schafen entdeckt und eine Schaf-Freundin gefunden hat. Die vierbeinige Freundin wurde Rosemarie getauft – warum, um Himmelswillen, gerade Rosemarie?
Kann eine Schafschur noch besser laufen?
Wohl kaum, denn wir alle hatten eine GUTE Zeit.