Jack treibt in über 600 m Entfernung die fünfköpfige Schafgruppe präzise durch den vorbestimmten Parcours und man kann gar nicht anders, als mit aufgerissenen Augen dieses Treiben zu bestaunen. Sind da übernatürliche Kräfte am Werk und warum kann das mein so süßer Mischling Rudi nicht? Der Wunder-Hund führt noch immer sämtliche Pfeifkommandos perfekt aus, was bei fast allen Zuschauern am Rande des Trial Feldes ein schlechtes Gewissen aufkommen lässt: Meiner könnte das bestimmt auch, ich habe nur keine Zeit.
Ist schon klar.
Das, was diese Hunde auf dem Wettkampffeld vollbringen, muss nicht jeder Hund können, denn jeder Vierbeiner hat seine eigene Bestimmung. Die Bestimmung der Border Collies ist eben die Arbeit an Schafen. Nur mal zur Vervollständigung, die Wettkampfbedingungen haben meist wenig mit der tatsächlichen Arbeit an einer Herde von 1.600 bewollten Damen zu tun. Natürlich leugnen das fast alle Wettkampfteilnehmer, aber dann erkläre mir doch bitte jemand, weshalb so gut wie kein aktiver, ausgebildeter Berufsschäfer oder gar Schäfermeister teilnimmt?! Was aber die grandiosen Leistungen auf dem Wettkampffeld nicht kleiner machen. Es ist ein Wettkampf und das beste Team erstreitet die begehrten Punkte.
Jack hat inzwischen alle Aufgaben mit Bravur abgearbeitet und ist bei der letzten Prüfung angelangt, dem Einpferchen. Super, auch das wäre geschafft. Toll, dass müssen die andern Punktejäger erst mal nachmachen oder übertreffen. Die berühmte Latte liegt nun ziemlich hoch. Ein Team nach dem anderen schreitet zum Startpfosten, gibt sein Bestes und kämpft um Qualifikationspunkte.
Alle Zuschauer sind beeindruckt, die Starter ärgern sich über Fehler, nur für die Hunde ist es ein Tag wie jeder andere. Sie geben ihr Bestes. Noch während sich die letzten Starter auf ihren Wettstreit vorbereiten, muss ich plötzlich an meine befreundete Schäfermeisterin Kerstin Doppelstein denken. Wir kennen uns gut. Sie liebt Tiere und die Arbeit mit ihnen über alles.
Doch weshalb käme sie nie auf den Gedanken von Schäferhunden auf Border Collies umzusteigen, sie perfekt auszubilden und an diesen Trials teil zu nehmen? Eigentlich sollte ihr das doch auch Spaß machen!? Unter den Startern findet man aber meist Tierärzte, Polizisten oder Angestellte, die zu Hause 20- 30 Schafe halten und ihre ganze Energie in die Perfektionierung der vierbeinigen Zauberlehrlinge stecken.
Bei Kerstin, mit ihren über 1.200 Mutter Schafen, einer Bison Herde, einer Yak Herde, Hühnern, unzähligen Hasen und 10 Schäferhunden, sieht die Welt schon etwas anders aus. Das ist die echte Welt der Farmer und Schafzüchter. Ich habe mit Kerstin gearbeitet und muss voller Respekt sagen: „Hut ab- mit tiefer Verbeugung“. Das, was sie täglich leistet, grenzt für mich schon fast an ein Wunder. Und die Hunde, wie arbeiten die Hunde dieses zweibeinigen Perpetuum Mobiles? Ich bekomme noch heute Gänsehaut, wenn ich an die tägliche Arbeit denke. Ohne die fantastischen Leistungen der Trial Hunde auf dem Wettkampffeld schmälern zu wollen…, kommen mir diese außergewöhnlichen Leistungen auf dem Trial-Feld wie ein Hobby vor.
Arbeitet nur eine Woche mit einem Berufsschäfer, an seiner Herde, dann könnt ihr vielleicht erahnen was ich meine. Am Abend werdet ihr zugeben: Sie waren heute Helden, für einen Tag. Nur das wir nicht sehen, dass dieser Tag wie jeder andere ist.
Was sind wir doch bequem, satt und faul geworden. Haben wir unsere Ideale, Naturverbundenheit und Begeisterung schon völlig verloren? Seien wir fair, nicht jeder kann sich intensiv mit Tieren beschäftigen und schon gar nicht halten. Was aber nicht den Blick auf unsere Wurzeln verdecken darf, denn wir sind was wir sind: Eine junge, kriegerische Spezies, die noch immer in ihren ursprünglichen Veranlagungen und Trieben gefangen ist, es aber aus Arroganz und Überheblichkeit verleugnet. Dumme Angewohnheit.
Warum sehen Menschen wie Kerstin Doppelstein die Welt anders als die meisten von uns? Allein darüber könnte man vermutlich eine Doktor Arbeit schreiben. Unsere letzten Helden kommen nicht aus der griechischen Mythologie und schon gar nicht aus kriegerischen Aktionen fürs Vaterland, sondern aus unserem Alltag. Jedes Mal wenn der Tag zur Neige geht, gibt es Zwei- und Vierbeiner, die auch an diesem Tag wieder Unglaubliches vollbracht haben.
Was macht aber Menschen wie Kerstin Doppelstein nun wirklich zu Helden unseres Alltags?
Kerstin ist ein Extremist, verfolgt fast rücksichtslos ihren Weg und nimmt bewusst große persönliche Einschränkungen in Kauf. Genau aus diesem Stoff werden Helden gemacht. Helden die uns als Vorbild dienen, auch wenn wir sie nie erreichen. Ein Vorbild an Willensstärke, Durchhaltevermögen und Idealismus. Kerstin, dir und vielen anderen… – danke!
Ihr wart auch heute wieder: Helden für einen Tag.
-und morgen und übermorgen und überübermorgen…