Schlagwort-Archive: Geduld

Der Klang des Lebens

Heute habe ich den Klang des Lebens gehört und für einen Augenblick hatte ich alle Zeit der Welt. Alle Zeit? Ja, alle Zeit,  denn in diesem Moment war ich mit Allem vereint und Zeit war in diesem Moment das, was sie tatsächlich ist  – nichts. Die ärgerliche Zeit haben wir Zweibeiner, die Krönung der Schöpfung, erfunden. Warum?  Weil Angst unser Leben bestimmt,  nicht das Leben. Ich hoffe, alle können diesen leicht verstörenden Wort- Bild- Fetzen folgen. Falls nicht,  lest einfach weiter und vielleicht könnt ihr dann erahnen, was ich meine.

Eigentlich hatte dieser Tag ziemlich mies angefangen, denn ich war zwar wach, aber mein verdammter Glücksbringer noch nicht. Was macht man also, wenn einem der Tag schon am Morgen so richtig vors Schienbein schlägt? Man macht einfach weiter und tut so, als müsste das genauso sein. In Wirklichkeit finde ich den Macher des Tages ziemlich unsympathisch. An diesem Morgen war er entweder nicht bei Sinnen, oder schlicht und ergreifend doof. Der Himmel hatte weit die Schleusen geöffnet und zeigte, zu was er an diesem doofen Morgen alles im Stande ist. Na toll, dachte ich, die Gummi-Pelle kommt wieder zum Einsatz. Ziemlich nützlich das Zeug, hässlich aber brauchbar. Ich trete in der Gummi-Rüstung aus der Tür. Habe ich die zweite Sintflut verschlafen? Teilt sich jetzt gleich das Wasser, so dass ich trockenen Fußes hindurch gehen kann? Gefühlt schlug mir da gerade ein ganzes Meer entgegen und ich war ein Kapitän auf hoher See, aber ohne Schiff. Noch während meine missmutigen Blicke über dieses Elend streiften, beruhigte sich das Meer. Teilt es sich jetzt doch, oder bin ich nur im Auge der Hurrikans? Fast schlagartig zogen sich die Wassermassen zurück und der Himmel hatte ein Einsehen. Wer auch immer da oben die Geschäfte führt und den Plan geschrieben hat. Danke.

Morgenstund hat Gold im Mund. So ein Quatsch. Ich muss sehen, dass ich auf dem Weg zur Garage nicht ertrinke. Geschafft, Hunde im Auto und ich bereit für ein feuchtes Abenteuer. Das Abenteuer hieß in diesem Fall Schafe kontrollieren und umsetzen, wenn nötig mit schwimmenden Hunden. Schlüssel rein und los. Los? Nochmal, Schlüssel drehen und los? Warum höre ich nicht den geringsten Ton? Eigentlich sollte doch an dieser Stelle, mein alter Diesel eigenwillige, laute Geräusche von sich geben. Bitte nicht schon wieder, dachte ich. Alle weiteren Versuche schlugen ebenfalls fehl und nun war ich an einem Punkt angelangt, an dem in mir der Gedanke hoch kroch, dass ich doch besser im Bett liegen geblieben wäre. Wie auch immer ich das anstelle, ich musste zu den Schafen. Kurze Überlegung: das Auto springt nicht an, Werkstatt dauert zu lang, Freundin für drei Tage bei Ihren Eltern, Nachbar nicht zu Hause und meine Schwester wohnt fast 500 Kilometer entfernt.

Alles in allem, läuft es heute mal wieder traumhaft.

Was solls, Bilderbuch kann jeder. Was waren also noch für Optionen offen? Dabei habe ich das Wieder-schlafen-gehen ausgeklammert   …obwohl ich für einen kurzen Moment nochmal darüber nachgedacht habe. Taxi geht nicht, zu teuer und echter Unsinn. Laufen zu weit, aber was ist mit Fahrrad? Falls sich die himmlischen Schleusen ganz schließen, wäre dies zumindest auch eine Variante. Vielleicht fällt mir ja doch noch was Un-anstrengenderes ein. Busse fahren nicht, denn es ist Sonntag. Weshalb heißt der Tag eigentlich Sonntag? Für alle  Geschichts-Muffel: Die alten Germanen widmeten den ersten Tag der Woche ihrer Sonnengöttin Sunna, der im Laufe der Zeit  unser geliebter Sonntag wurde. Das ist ja alles schön und gut, hilft mir aber auch nicht.

Zähneknirschend entscheide ich mich für das Fahrrad. Hunde wieder ins Haus, Luft aufgepumpt und los. Mit dem Auto waren meine Schafe gleich um die Ecke, aber mit dem Fahrrad bekommt man auf das Thema Entfernung einen ganz anderen Blickwinkel. Der Regen hatte zwar ein Einsehen, aber sein zänkischer Bruder Sturm war noch kräftig bei der Arbeit. In Nienburg haben wir zwar viele tolle Radwege, aber bei extremen Gegenwind denkt man doch schon mal über ein Taxi nach. Aber nein, ich kämpfe mich im Angesicht der brutalen Naturgewalten durch und leiste Heldenhaftes, immer begleitet von herzhaften Flüchen. Nach einer gefühlten Drei-Tages-Rad-Tour, stehe ich dann endlich mit dem Drahtesel vor meinem Schafstall. Die Damen müssen umgesetzt werden, ein neuer Heuballen aufgeschnitten und den Zaun so umbauen, dass sie auch von ihrer Freifläche freien Zugang haben. …und die zwei abgeschälten Bäume vielen mir erst später ins Auge.

Alle Arbeit war erledigt und alle Damen versorgt, so dass ich mich wieder auf mein Reisegefährt schwingen konnte, um Richtung Heimat zu strampeln. Eigentlich fahre ich ja wirklich gern Rad, aber zu Arbeitszwecken und bei einem echt mies gelaunten Wetter-Gott macht die Sache keinen Spaß. Diesmal hatte ich Rückenwind, so dass ich geschwind voran kam. Eine Abkürzung führte mich vom Radweg ab in etwas unwegsameres Gelände, aber dafür durch wunderschöne Wiesen und in einen traumhaften Mischwald.

Als ich dann im Wald stand, fern ab von allem Getöse und das gleichmäßige Rauschen in den Baumwipfeln hörte, hatte ich einen Augenblick das Gefühl schwerelos und wirklich frei zu sein. Ohne Last. Es war der Klang des Lebens, der sich genauso bereits vor Millionen Jahren über das Land verbreitet hat und dem es egal ist, wer da gerade auf der Erde nach Futter sucht. Vielleicht ist es auch nur das Gefühl, für einen Moment mit der Natur wieder verbunden zu sein, was uns in den wenigen Entwicklungsjahren bereits verloren gegangen ist  – wir aber unbewusst vermissen.

Der Klang des Lebens /Schaf-Land /H.P.Schaarschmidt

Der Klang des Lebens /Schaf-Land /H.P.Schaarschmidt  http://www.schaf-land.de

Nachdem man so einen schwerelosen Moment erlebt hat und dann wieder hart auf den Tatsachen unserer selbst gebastelten Realität aufgeschlagen ist, stellt sich fast automatisch wieder die Frage aller Fragen: Was ist der Sinn des Lebens?
Fragt einen studierten Philosophen ganz ernsthaft nach dem Sinn des Lebens und ihr werdet erleben, wie er nach einem dreitägigen Dauervortrag bewusstlos zusammenbricht, da er keine Zeit hatte etwas zu trinken. Gerade die Gilde der Philosophen hat sich mehr als nur ausgiebig mit einem Thema seit tausenden von Jahren beschäftigt, das wir nicht verstehen. Am Ende steht dann doch immer wieder die quälende Frage: Was ist der Sinn des Lebens? Nach Höherem zu streben? Anerkennung, Arbeit, Liebe, Geld oder Erfolg? Mit diesem Thema haben sich schon viele schlaue Menschen beschäftigt und ihre Theorien füllen bereits tausende und abertausende Seiten, doch jede Theorie besagt im Grunde immer das Gleiche: Ich habe keine Blassen Schimmer. Einiges ist jedoch bereits sicher, unser Platz im unendlichen Universum ist nicht reserviert worden damit wir viel Geld scheffeln, eine Machtposition erlangen oder freundlich zum Nachbarn sind. Nein, dafür nicht. Auch die tausend kleinen Alltagsdinge und vielen fiesen Gehässigkeiten sind unser Werk, die haben wir uns selbst ausgedacht und bestimmen sogar unser Leben. Doch überraschender Weise kommen wir mit dieser Selbsterkenntnis der Lösung den ersten Schritt näher. Zwischen all den philosophischen Sätzen die brutale Frage: Was ist der Unterschiet zwischen Mensch und Hai?

Antwort: Dass der Hai im Wasser lebt, wir auf dem Land und
natürlich auch viel klüger sind?

Falsch!

Dass der Hai schon 100 Millionen Jahre vor den Dinosauriern lebte, gerade die Menschen-Zeit durchsteht und in 100 Millionen Jahren, wenn es uns schon lange nicht mehr gibt, auch noch seine Bahnen ziehen wird. Das ist der Unterschied. Es geht einfach nur ums Überleben. Alles was wir daraus machen, ist unser Werk. Es wird uns entweder zum frühen Ausscheiden bringen, oder unsere Zeit verlängern. Neid, Hass, Habgier oder all die anderen vielen Nettigkeiten tragen eher dazu bei, das wir nicht im Zeitalter der super Individualisten leben, auch Neandertaler, sorry  Menschen genannt, sondern nur in einem kurzen Abschnitt. Falls nun jemand auf den Gedanken kommt, dass sich dies alles ziemlich verrückt anhört, dann reden wir doch einmal kurz über unsere Welt-Religion mit 2,2 Milliarden Gläubigen. 2,2 Milliarden ist eine Zahl mit 12 Stellen hinter dem Komma.  2.200.000.000.000.
Da gibt es jemanden, der nicht nur die Erde, die Natur und uns Menschen innerhalb einer Woche erschaffen hat, sondern zum Schluss  – dem Mann auch noch eine Rippe entfernt hat, um daraus eine Frau zu basteln  – damit er nicht allein auf der Erde wandelt.  Das nenne ich verrückt. Wir sind nicht die Krönung der Evolution und erst recht nicht irgendeiner Schöpfung, sondern nur ein winziger Teil von einem Ganzen, welches wir nie verstehen werden. Das ist alles und wenn wir Momente erleben, in denen wir das Gefühl haben, ein Teil dieses Ganzen zu sein und nicht der viel gepriesene Individualist, eröffnen sich plötzlich ganz neue Welten. Leider kann man diesen Zustand nicht erklären, sondern nur erleben und wahrnehmen. Ein gleichmäßiges Rauschen in  den Wipfeln hat mich dazu gebracht, genau dies zu fühlen. Warum? Ich weiß es nicht, aber irgendetwas muss ja in uns schlummern, wenn wir Gefühle erleben, die uns zum Teil des Ganzen machen  – wenn auch nur für einen kleinen Augenblick.

Heute habe ich den Klang des Lebens gehört und
für einen Augenblick hatte ich alle Zeit der Welt.

Geduld, Border Collies und Bambus Bauern

Bambus Bauern? Wieso Bambus Bauern?
Man man man, nun regnet es schon den dritten Tag und ich kann so Garnichts von all den Dingen erledigen, die erledigt werden müssten. Bei diesem Vorgeschmack auf die Sintflut, heißt es nur: Geduld.
Habt ihr Geduld? Ich nicht und muss sogar jeden Tag darum kämpfen, sie nicht zu verlieren. Eigentlich möchte ich viel mehr davon, am besten jetzt gleich und sofort. Mist, so funktioniert das nicht mit der Geduld, also sollte ich mir anderweitig mehr davon „besorgen“. Sich mehr Geduld beschaffen, ist ein wirklich harter Job, denn wir müssen an der schwersten Aufgabe von allen arbeiten, an uns selbst. Dumm ist nur, nicht allein der Wille ist entscheidend, sondern die innere Einsicht.

…und woher bekomme ich jetzt „schnell“ diese innere Einsicht?

„Eigentlich“ haben wir in unserer durchorganisierten, auf Optimierung getrimmten Welt ziemlich schlechte Chancen, diesen Weg zu finden. Das klingt jetzt vielleicht etwas hart, aber die „Masse“ läuft doch täglich wie „aufgescheuchte Hühner“ durch den Alltag und ist von innerer Ruhe so weit entfernt, wie eine Mücke vom Elefant. Es ist aber nicht unmöglich, aus einer Mücke einen Elefant zu machen  …und das meine ich diesmal nicht im bekannten negativen Sinne, nein, ganz und gar nicht, sondern diesmal positiv, der Weg zur inneren „Mitte“. Dumm nur, dass man diese innere Mitte schlecht beschreiben kann und sie eigentlich selbst erleben muss, um sie zu begreifen. Ohne Training, nur aufgrund von Umständen, durfte ich dieses Gefühl bisher zweimal erleben. Das erste Mal war vor 20 Jahren in einem dreiwöchigen Urlaub auf Sri Lanka (bis 1972 Ceylon). Wir haben weder Teeplantagen noch Tempel angesehen, sondern ausschließlich am Traumstrand im Schatten der Palmen gelegen. Nach reichlichen zwei Wochen stellte sich eine erstaunliche innere Ruhe ein. Nach drei Wochen war mein Innenleben so sortiert, dass ich ein ganz anderes Körpergefühl hatte. Wie schon gesagt, dies kann man eigentlich nicht beschreiben, sondern nur selbst erleben. Der zweite Moment ist erst ein Jahr her und „überfiel“ mich auf einem Hüte-Trial im Harz. Trotz Zuschauer und vieler Wettkampfteams, war ich mit meinem Hund ganz allein und war bei ihm – auch in 150 Meter Entfernung. Unvergesslich!

Geduld ist eigentlich „nur“ das Endergebnis, das Ende der Reise. Wer „nur“ das Ziel vor Auge hat, ist bereits von der „Hauptstraße“ abgekommen. Wir sind dann aber nicht nur von der „Hauptstraße“ abgekommen, sondern laufen zudem auch noch den falschen Zielen hinterher. Wir hetzen, machen und tun, ohne wirklich Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden zu können. Bringt etwas in der heutigen Zeit keine schnellen Ergebnisse, ist es „untauglich“. Hat man Geduld, so ist es eine Tugend, die wertvoller ist als Gold. Ich gebe zu, ein für uns alle schwer zu verstehender Satz, denn wir haben andere Lebensvorstellungen mit auf den Weg bekommen.

Ein wunderbares Beispiel ist nicht nur die Arbeit mit unseren Border Collies, sondern Bambus-Bauern. Bambus-Bauern? Was haben Bambus-Bauern mit Geduld zu tun? …Und überhaupt, was machen diese Leute? Ich darf euch versichern, sie sind das Paradebeispiel und Aushängeschild für Geduld.

Bambuswald Ⓒ Steffen Reuter

Bambuswald Ⓒ Steffen Reuter

Bambus ist ein wichtiger Rohstoff geworden, der in viel mehr Dingen steckt, als wir uns vorstellen können. Doch Bambus kommt nicht aus dem Baumarkt und wurde auch nicht von „Tante Bayer“ oder einem anderen Chemiekonzern erfunden, sondern von fleißigen Bambus-Bauern angebaut. Nun ist aber das Bambuspflänzchen ein ganz besonderes „Ding“, denn es wächst nicht wie jede andere Pflanze nach dem Stecken jedes Jahr neu, nein ganz und gar nicht, sondern es lässt sich Zeit. …somit wären wir bei Geduld. Ohne Geduld und Beharrlichkeit ist diese Pflanze nicht erfolgreich anzubauen. Nach dem Stecken macht sie 4 Jahre nicht die geringsten Anstalten zu wachsen. Man muss den Boden harken, Unkräuter entfernen, gießen und sie 4 Jahre lang liebevoll umsorgen, ohne genau zu wissen, was passiert. Diese Bambus-Bauern halten durch. Ihr „Geheimnis“: Einfach immer weitermachen und nicht verzagen.

Die Früchte der Arbeit nach 4 Jahren Ⓒ Steffen Reuter

Die Früchte der Arbeit nach 4 Jahren Ⓒ Steffen Reuter

Geduld und Zuversicht sind hier die wichtigsten Tugenden. Seid auch hier ehrlich, würden wir das durchstehen? Ich glaube, die meisten von uns würden die Segel streichen. Warum können diese Menschen so geduldig sein und wir nicht? Der Weg ist das Ziel und eine damit verbundene ganz andere Lebensweise. Wollen wir Geduld, müssen wir unseren Alltag umstellen. Die Geduld stellt sich dann „fast“ von selbst ein. Hört sich gut an und lässt sich leicht schreiben, aber in der Praxis eine „Monster-Aufgabe“. Mit diesem Thema stehen wir vor einem echten Dilemma und vernünftige Ratschläge sind rar. Da wir nicht nach Tibet auswandern können, um bei den Mönchen Geduld zu lernen, müssen wir in unserem Leben aktiv werden. Lasst uns bewusster leben, über den Sinn unseres Handelns nachdenken und bei der Arbeit mit unseren Hunden immer daran denken: Diese vierbeinigen Freunde machen nichts falsch, nur wir. Das ist schon mal ein kluger Anfang.

Konzentration & Hingabe Ⓒ Steffen Reuter

Konzentration & Hingabe Ⓒ Steffen Reuter

So funktioniert das mit der Geduld und nicht auf „Knopfdruck“.

Hütetraining bei Hans-Jürgen Werbke

Es ist Sonntagmorgen 5.45 Uhr, eigentlich die richtige Zeit, sich nochmal auf die andere Seite zu drehen, aber da schreit mich plötzlich der Wecker an „Los, aufstehen“. Verdammt, ist die Nacht denn schon vorbei? Nach einem kurzen Moment zünden auch meine „grauen Zellen“: „Ach ja, heute geht es zu Hans Jürgen Werbke“. Mein jüngster Neuzugang May, ist aus seiner Zucht und diese schwarz-weiße kleine Rakete bereichert mein Leben sehr. Sie soll Abby unterstützen, aber später mit mir auch auf Trials gehen. Na ja, lassen wir uns überraschen, denn jeder neuer Tag ist bekanntlich eine Wundertüte.

Wieder zurück zu meinem Wecker. Irgendwie wird er nicht mehr mein liebster Gegenstand, denn er  ist immer so rücksichtslos zu mir. Nachdem seine Stimme verstummt ist, wobei ich etwas „nachgeholfen“ habe, springe ich voller Tatendrang aus dem Bett und kümmere mich um meinen „Lebensretter“, eine Tasse Kaffee. Ich schalte das Radio an und „suche“ mir was zu essen. Glück gehabt, „Futter“ ist vorrätig. Die Hunde habe meine Aktivitäten kurz zur Kenntnis genommen, sich aber wieder hingelegt, denn 5.45 Uhr ist normaler Weise nicht unsere Zeit. Kaffee, wach werden und ab unter die Dusche. Nun melden sich meine Plagegeister auch wieder (keine Flöhe) und lasse sie hinter das Haus. In unserem kleinen Örtchen, muss ich der einzige sein, der zu so einer „unchristlichen“ Zeit seine Hunde pinkeln lässt. Alles erledigt, nun aber auf nach Schleswig Holstein.

Der Empfang war herzlich und zur Begrüßung gab’s erst mal einen Kaffee. Kurze Besprechung, wie der aktuelle Stand seiner/meiner jungen Hündin May ist, wie sie sich bei mir entwickelt hat und was ich bisher gemacht habe. Genau so muss ein Trainingstag beginnen: Ruhig, entspannt, freundschaftlich und nach Vorbereitungen mit einem Plan.

Trainingsmethode Dr. Hans-Jürgen Werbke Ⓒ Hardi P.Schaarschmidt /So sehen die Schränke von Siegern aus.

Trainingsmethode Dr. Hans-Jürgen Werbke Ⓒ Hardi P.Schaarschmidt /So sehen die Schränke von Siegern aus. www.schaf-land.de

Es macht einfach Freude, Hans-Jürgen bei der „Arbeit“ zuzusehen. Immer mit Ruhe und viel Geduld, von der ich mir noch einiges „besorgen“ muss.

„Eigentlich“ gibt er ja kein Training mehr, da aber May aus seinem letzten Wurf stammt und er ein großes Interesse daran hat, was aus den kleinen Raketen wird, treffen wir uns von nun an regelmäßig. Klar liebe ich alle meine Tiere, aber May zeigt deutlich mehr Talent als meine Abby. Ich möchte mit Hilfe von Hans-Jürgen Werbke so wenig Fehler wie möglich machen  – bin mir aber ziemlich sicher, dass ich auch diesmal wieder „grobe Schnitzer“ produzieren werde.  Selbstkritik bringt uns immer nach vorn, denn bekanntlich liegt das größte Hindernis nicht bei den Vierbeinern, sondern bei uns Zweibeinern.

Balancearbeit hatte ich bereits als Hausaufgabe, doch nun wollten wir mit May anfangen, etwas konkreter zu arbeiten – natürlich ohne Druck und mit viel Zeit. May bot uns viele Lösungen an, die ich nicht immer auf Anhieb erkennen konnte, doch Hans-Jürgen erklärte sie mir sofort. May macht mir wirklich viel Freude und Hans-Jürgen ist mit seinem vierbeinigen Zauberlehrling offensichtlich auch zufrieden. Da wäre nur noch ein klitzekleines Problem, ich muss sie auch gut anleiten und ausbilden.

Outrun, rechts, links, wegtreiben, dass waren die Hauptthemen. Hans-Jürgen und ich probierten, wie May auf verschiedene Situationen reagiert und er gab mir einige ganz spezielle Übungen als Hausaufgabe mit auf den Weg, die ich mit May erarbeiten soll. Bei erfahrenen Trainern sieht immer alles so ruhig, gelassen und selbstverständlich aus, aber gerade das macht sie wohl aus, unsere Besten. Klar gibt es auch einige „Border-Collie-Künstler“, die sehr „lautstark“ agieren und über das Trialfeld brüllen, als wären alle Hunde auf dieser Welt extrem schwerhörig  – doch es geht eben auch anders.

Trainingsmethode Dr. Hans-Jürgen Werbke Ⓒ Hardi P.Schaarschmidt /Hier Hans-Jürgen werbke mit May

Trainingsmethode Dr. Hans-Jürgen Werbke Ⓒ Hardi P.Schaarschmidt /Hier Hans-Jürgen Werbke mit May

Zwischendurch kam ein kurzer Besuch aus Meggerdorf. Der Landwirt hatte einen jungen Hund an der Leine und wollte um Rat fragen. „Dann lass ihn doch mal laufen, denn ich möchte sehen, wie ihr zusammen arbeitet. Mach alles wie immer“. Gesagt – getan. Der Hund lief, brachte die Schafe und sollte sich kurz vor uns ablegen. Wow, aber was passierte dann, das down Kommando donnerte wie ein Kanonengeschütz, doch der Hund war höchsten 10m von uns entfernt. Das Ergebnis: Der Hund hörte nicht, erst nach einigen lautstarken Wiederholungen.

„Alles anhalten, so können wir nicht arbeiten“.

Jetzt habe ich die erste Aufgabe für dich, rede leise und nett mit deinem Hund.
„Bisher kannte ich das gar nicht anders“, war seine Antwort.

In Meggerdorf mag das ja so üblich sein, dass alle Nachbarn im Umkreis von 300m immer genau wissen, was trainiert wird, aber ganz sicher nicht hier. Dann nahm Hans-Jürgen den Hund, ging auf die Schafe zu, postierte ihn und fing an, leise mit ihm zu reden. Anschließend schickte er ihn auf den Outrun und als die Damen wieder kurz vor ihm waren, ging er im richtigen Moment einen Schritt auf dem Hund zu und gab ein leises down Kommando. Wunder, oh Wunder, völlig stressfrei legte sich der Hund hin. Das war gut, dachte ich und der Hundebesitzer stand sprachlos da. Ehe ich dir zu irgendwelchen anderen Problemen Ratschläge gebe, trainierst du erst mal (mindesten einen Monat) den ruhigen Umgang mit deinem Hund  – dann sehen wir weiter. „Ich gebe ja kein Training, aber für die Nachbarschaft habe ich gern hilfreiche Ratschläge“. Der Besuch war schnell vorbei, doch für die zwei sicher sehr hilfreich.

So Peter und wir besprechen jetzt, was wir heute alles gemacht haben.

Abschlussbesprechung /Trainingsmethode Dr. Hans-Jürgen WerbkeⒸ Hardi P.Schaarschmidt

Abschlussbesprechung /Trainingsmethode Dr. Hans-Jürgen Werbke Ⓒ Hardi P.Schaarschmidt

Es war bereits Nachmittag und ein Kaffee wäre jetzt auch super. Ab in die Küche, Kaffeeautomat in Gang gesetzt und die Frage: Was haben wir heute alles ausprobiert und gesehen? Einiges ausprobiert und mein kleiner Zauberlehrling hat uns viel gezeigt. Genau das sollte unser Ansatz werden, denn der erfahrene Blick auf May ist von Hans-Jürgen Werbke natürlich ein ganz anderer als von mir. Wir besprachen einige Übungen und wie ich mich zu verhalten habe. Auweia, bei dieser Arbeit geht es  nicht nur um meinen Hund, sondern auch um mich. Ich muss mir einige „Unarten“ abgewöhnen und klarer kommunizieren. Hört sich verdammt schlau und logisch an, aber …es gibt immer ein „aber“, das ist alles andere als eine „lockere“ Übung.

Da waren sie also, meine Hausaufgaben für die nächsten 6 Wochen.

 

Hütewettbewerb in Kulmbach – südwärts

Was? Wo willst du hin? Kulmbach? Du bist ganz schön „verrückt“, das sind doch bestimmt 400 Km. Na- ja, was sollte ich dazu sagen, die Trial-Gemeinde in unserem „Ländle“ ist sehr überschaubar und im Süden habe ich noch nie am Startpfosten gestanden. Falls also nichts mit meinen Tieren anliegt und sich der Autobahn-Krieg in Grenzen hält – so war der Plan – sollte es südwärts gehen. Kurz vor der Abreise habe ich nochmal meinen Beraterstab zusammengeholt und das waren: Der Autobahndirektor, der Wetter Gott, der Motivationstrainer und der Kassenwart. Was waren ihre Aussagen? Auf der Autobahn findet eine Völkerwanderung statt, das Wetter ist wechselhaft, gute Motivation – sofort losfahren und der Kassenwart: Die Reise ist gestrichen. Das war alles nicht wirklich hilfreich, aber zumindest einen Überblick zum aktuellen Stand. Den Miesmacher Kassenwart ignoriere ich ganz einfach, verbünde mich mit dem Motivationstrainer und packe meine Sachen. Die A7 ist in der Regel so gefährlich, wie ein Minenfeld, doch an diesem Freitagnachmittag hatten sich alle 80 Millionen Bundesbürger am Autobahnkreuz Kassel verabredet. Ich war einer davon und das Ganze glich tatsächlich einer Völkerwanderung  – wenn ich es recht überlege, eher den „Kreuzzügen“, wegen der Aggressionen und so…  Es ging aber besser als gedacht und ich konnte „unbeschadet“ zum angekündigten Vorabendessen erscheinen. Die Wirtschaft war schnell gefunden, denn es gab in diesem Örtchen nur eine. Das allererste was ich gelernt habe, „wir sind nicht in Bayern, sondern in Oberfranken“. Wichtig!  Als ich in die Runde fragte, was man hier so trinkt, erhielt ich von Claudia Gebelein (ganz liebe Grüße) die Antwort: „Radler mit Eigen-Urin“. Ok dachte ich, die „Oberfranken“ sind witzig, deftig und gerade heraus  – das passt.

Blick aus meinem Fenster Ⓒ Hardi P.Schaarschmidt

Blick aus meinem Fenster Ⓒ Hardi P.Schaarschmidt

So, der erste Tag ist vorbei. Nette Veranstalter, familiäre Atmosphäre, steiles aber tolles Feld, eine faire Richterin Jeanny und super Schafe. Ich aber, habe eine Lehrstunde zum Thema Hundeausbildung, Geduld, Selbstbeherrschung und Durchhaltevermögen erhalten. Meine Abby war außer Kontrolle und ich danach zum ersten Mal deprimiert. Klar weiß ich, dass dies falsch ist und so gar nichts bringt, aber hallo, man ist auch nur ein Mensch. Nachdem am Nachmittag netter Weise alle noch einen Trainingslauf erhielten und wir (Abby und ich) auch diesen Durchgang wieder „versemmelt“ hatten, war es mit meiner guten Laune endgültig vorbei. „Verdammt“ dachte ich „was läuft denn da ab?“ Das können wir doch viel besser. Ich gebe es zu, mein Zustand bewegte sich nun zwischen Enttäuschung und Ärger  …auch wieder falsch. Was waren aber an diesem Tag die Fehler? Ich habe falsch reagiert und konnte Abby nicht die nötige Ruhe geben. „Eigentlich“ wollte ich nach weiteren vernünftigen Läufen mit ihr in die Klasse 2 wechseln, aber nach diesem Desaster, ist das erst mal „gestorben“.

ABCD Trial Ⓒ Hardi P.Schaarschmidt

ABCD Trial Ⓒ Hardi P.Schaarschmidt

An alle da draußen, die das Gefühl haben, mit ihren Hunden bei der Ausbildung auf der Stelle zu stehen: „Ihr seid nicht allein“. Was ist aber das „Geheimnis“? Sich Unterstützung holen und weitermachen. Wow, das ist ja gar nicht so schwer, sondern fordert „nur“ unser Durchhaltevermögen. Braust man dann schon mal 400 Km südwärts zu einem Trial und fährt alles vor die Wand, so jubelt man natürlich nicht wie nach einem Lottogewinn, aber auch das ist eine wichtige Erfahrung. Hört sich ziemlich schlau an, aber in Kulmbach habe ich genau zu diesem Thema eine Bruchlandung hingelegt. Warum? Nicht weil wir am Samstag keinen guten Job abgeliefert hatten, nein, sondern weil ich hinterher enttäuscht gewesen bin.

Das war der tatsächliche Fehler  – mein Fehler.

Trial in Kulmbach Ⓒ Hardi P.Schaarschmidt

Trial in Kulmbach Ⓒ Hardi P.Schaarschmidt

Sonntag: Neuer Tag, neues Glück. Noch im Frühstücksraum der Pension Grampp in Kulmbach, die im Übrigen fantastisch ist, habe ich das Trialfeld vor Augen und überlegt, was ich beim Handling ändern könnte. Vielleicht sollten Abby und ich auch mal ein ernstes Wort miteinander sprechen, wobei ich ihr erkläre, dass diese 5 Damen vorsichtiger zu bewegen sind. Wie schon gesagt: Neuer Tag, neues Glück.
Dieser Sonntag brachte uns zwar den 3. Platz, war aber alles andere als eine Sternstunde deutscher Trial Geschichte. Sehen wir es positiv, dieses Wochenende hat lehrreiche Spuren hinterlassen und das ist ja auch schon mal was. Zwei der ganz wichtigen Aufgaben, die ich mit nach Hause nehmen konnte waren: An mir zu arbeiten um stets neutral zu bleiben und die Kommandos konsequenter durchsetzen.  …das nennt man wohl Hausaufgaben.

Luxus Ⓒ Hardi P.Schaarschmidt

Luxus Ⓒ Hardi P.Schaarschmidt

Schön war`s, mit einem Hauch von Luxus, den direkt an der Weide einen Kaffeeautomaten zu haben, der alle Wünsche erfüllt, ist schon was Besonderes. WOW sage ich da nur, aber das bekommt man wahrscheinlich, wenn man südwärts fährt.

Hundeausbildung & Geduld

Geduld zu warten, das ist uns heute abhanden gekommen (auch mir). Geduld kommt aus dem althochdeutschen „dulten“ tragen, ertragen und hängt mit dem lateinischen „tolerare“

tolerieren zusammen. Im griechischen wird das Wort „hypomone“ für Geduld verwendet und steht für Ausharren, Aushalten. Ich persönliche habe bisher nur 2 Trainier kennenlernen dürfen, die mir Ruhe, Gelassenheit und vor allem Geduld vermitteln konnten. John Johnes aus Wales und Dr. Hans-Jürgen Werbke aus Hollingstädt.

In diesem Sinne erinnere ich mich auch gern an den Ausspruch einer von mir sehr geschätzten, lieben Freundin Ingrid Stottmann. „Verabschiede Dich davon, immer alles unter Kontrolle haben zu wollen“.

Geduld Ⓒ Hardi Schaarschmidt

Geduld Ⓒ Hardi Schaarschmidt

Ein unvergesslicher Moment