Mach die Augen zu und lass dich treiben,
spüre nur den Wind und die Unendlichkeit.
Mach einfach nur die Augen zu und tauche ein,
lass alle Sinne dich begleiten und ihre Stimmen laut schreien.
H.P.Schaarschmidt
Auweia, wann haben wir das mal gemacht? Eingefangen in einem Hamsterrad und immer auf der Jagd nach Anerkennung. Da Ist für solch unnützes Treiben doch keine Zeit. Dabei schreit es uns fast jeden Tag an: Rede mit mir, mach die Augen zu und lass dich einen Moment lang treiben.
Eigentlich habe ich ziemlich viel Glück, denn meine Tiere halten mich am Boden und schenken mir jeden Tag Liebe und Vertrauen. Natürlich ist dies etwas ganz anderes, aber es macht auch glücklich und die Arbeit mit Tieren schenkt innere Ruhe, zumindest geht es mir so. Was ist aber mit den Menschen? Wie kommt es z.B., dass uns manche fast magisch anziehen, während wir andere spontan ablehnen? Liegt es an dem oft zitierten Bauchgefühl, oder ist dies purer Unfug? Ich kann nur für mich sprechen. Da gibt es in meinem Leben eine Erkenntnis, die mich verändert hat. Nichts passiert einfach so, sondern folgt Ursache und Wirkung. Das Zusammenleben mit Tieren verändert uns Zweibeiner, denn sie haben eine starke Wirkung auf uns. William James, Psychologe der Harvard-Universität, wies bereits 1884 nach, dass Umwelteinflüsse unmittelbare körperliche Reaktionen auslösen und sich auch auf unsere Psyche auswirken.
Kümmern wir uns z.B. um ein Mutter-Schaf und begleiten die Geburt, so hat dies direkte und nachhaltige Wirkung auf unser ICH. Die Tiere verändern uns… – nicht wir sie.
Von irren Züchtungen mal abgesehen, sind sie unverzichtbar, sie sind unser Leben. Abgestumpfte Stadt-Menschen werden diesem Gedanken vielleicht schwer folgen können, aber seid versichert: Auch ihr seid nur ein kleiner Teil des GANZEN und nicht die Krönung im Universum.
Es kommt aber noch dicker, denn Ferdinand Vogel und seine Mitarbeiter an der Universität Heidelberg ist es gelungen nachzuweisen, dass unsere seelische Verfassung sogar durch Vererbung stark beeinflusst wird. Es ist nicht schon genug, dass wir von 90% gesteuert werden, auf die wir keinen Einfluss haben, unserem Unterbewusstsein, nun werden wir auch noch von einem genetisch vererbten seelischen Zustand geleitet.
Einfache Frage: Was entscheiden wir eigentlich tatsächlich noch selbst?
Einfache Antwort: Wenig
Vor einigen Jahren hatte ich die Gelegenheit, mich mit dem spektakulärsten Kaufhaus-Erpresser aller Zeiten- Dagobert– (Arno Funke) zu unterhalten. Er hat übrigens im Berliner Polizei Museum, für die spektakulärsten Kriminalfälle, eine eigene Abteilung. Dieser kriminelle Pfiffikus hatte während seiner jahrelangen Haft genügend Zeit, genau über dieses Thema nachzudenken. Er kam zu dem Schluss, dass unser Rechts-System zusammenbrechen würde, wenn wir unsere 90% Unbeeinflussbarkeit mit beurteilen würden. …Denn, wer sollte zur Verantwortung gezogen werden? Das Unterbewusstsein? Der genetisch beeinflusste seelische Zustand?
Wie einfach haben wir Schafzüchter es doch da, wenn wir die Reaktionen unserer Herde lesen, klar verteilte Rollen, einfache Hierarchie und alle Reaktionen sind in jedem Moment live und echt. Wie kompliziert erscheint da doch unser Zweibeiner-Leben?! Nein, nein, ich möchte mich nicht über die Zweibeiner beschweren, es gab und gibt auch einige, die finde ich mehr als nur bemerkenswert. Hast du eine positive Lebenseinstellung, so findest du in der Regel auch häufig Menschen, die ähnlich positiv denken. Bist du meist mies drauf, begegnest du auch nur missmutigen Menschen. Bei meinen Schafen ist das etwas einfacher geregelt. Bei der Position in der Hierarchie spielen vor allem zwei Dinge eine große Rolle, Alter und mentale Stärke. Ja genau, auch bei den Tieren spielt die Persönlichkeit eine große Rolle und auch bei den Tieren wird diese vererbt. Als eines morgens, völlig unerwartet, meine uneingeschränkte Rudel- Herden- Führerin tot war, übernahm – ohne Diskussion- ihre stattliche Tochter das Zepter. Das geistige Innenleben wird also auch hier nachweislich weitergegeben.
Wir wollen alles wissen, verstehen und vor allem immer kontrollieren, aber eine von mir sehr geschätzte Freundin, Ingrid Stottmann hat einmal gesagt: Du musst dich davon verabschieden, immer alles unter Kontrolle haben zu wollen. Das sagte sie, als wir intensiv mit unseren Border Collies trainierten und ich noch auf Wettkämpfen startete. Heute geht es in erster Linie um die Arbeit an meiner Schaf-Herde. Genau in diesem Umfeld kann ich, wenn auch nur gelegentlich, meine Augen schließen, um nur den Wind und die Unendlichkeit zu spüren- wundervolle Momente.
Was habe ich eigentlich meinen Tieren voraus? Als Erstes fallen mir Ratio und Sensus ein und dass wir die Gewinner eines Großhirns sind, doch bei allen angeblichen Errungenschaften, ein Teil der Natur- sind wir Zweibeiner schon lange nicht mehr. Wir kontrollieren unsere eigene Welt, in jedem Fall versuchen wir es und gehen dabei zahllose Irrwege. Den Wind und die Unendlichkeit zu spüren, das haben die meisten von uns doch längst verlernt.
Das müssen wir ändern.
Mach die Augen zu und lass dich treiben,
spüre nur den Wind und die Unendlichkeit.